Ins Zentrum seiner Arbeit stellt Roger Signer die Frage nach der Relevanz sowie der Limitationen von Blockchain-Services im regulierten Finanzwesen. Dabei flossen neben systematischer Literaturrecherche zahlreiche qualitative Interviews mit Fachexperten aus Banken und von IT-Dienstleistenden, darunter die Inventx, ein.
Rund um die konkreten praktischen Anwendungen sowie der Wertschöpfung der Blockchain-Technologie für die Banken sind noch viele Fragen offen. Es fehlen empirische Belege, wie das theoretisch breite Anwendungsspektrum aktuell im Bankensektor umgesetzt wird und welchen messbaren Mehrwert die Technologie gegebenenfalls heute schon schafft.
Als zentrale Forschungsfrage wurde formuliert:
- Kann die Integration von Blockchain-Services in das regulierte Finanzumfeld zur nachhaltigen Wertschöpfung beitragen?
Um diese Hauptfrage genauer zu untersuchen, wurden zwei Unterforschungsfragen gestellt:
- Welche Blockchain-Services bieten für das regulierte Finanzwesen Potenzial, und worin liegen ihre Limitationen?
- Welche angewandten Use Cases ermöglichen durch die Integration von Blockchain-Services in regulierte Finanzsysteme eine nachhaltige Wertschöpfung?
Nach Begriffsklärung und Literaturstudien wurden folgende theoretische Blockchain-Services respektive Use-Cases für Banken identifiziert und analysiert:
- Custody von Kryptowährungen
- Blockchain-basierte Infrastrukturen
- Tokenisierung
- Bankkreditgebung
- Digitale Identität und KYC
Interessantes Nutzenpotenzial identifizierter Use Cases
Gemäss der Analyse von Roger Signer bietet die Funktion der Bank als Verwahrstelle für Kryptowährungen vielfältige Chancen; sie wurde von den befragten Experten als besonders interessanter Anwendungsfall genannt. Die Bank kann neue Einnahmequellen erschliessen, etwa indem sie Custody- und Brokerage-Gebühren generiert, und sie kann sich als verlässlicher Partner im Kryptowährungsmarkt etablieren. Grosses Potenzial liegt zudem in der Betreuung von Firmenkunden, die im Kryptobereich tätig sind und bei herkömmlichen Banken eher auf Skepsis stossen. Banken könnten einen lukrativen Kundenstamm gewinnen, indem sie Wallet-Lösungen einsetzen, die ähnlich wie Depots im Kernbankensystem verwaltet werden.
Blockchain-basierte IT-Infrastrukturen «zahlen» vor allem auf die Effizienz und Funktionalität im Bankwesen ein. Insbesondere die Nutzung von Smart Contracts ermöglicht es, Wertpapiere und andere Vermögenswerte effizienter und kostengünstiger zu handeln. Abwicklung und Zahlungsverkehr könnten erheblich beschleunigt werden.
Aus der Anlageperspektive für Investoren und Kunden einer Bank bietet die Blockchain erhebliches Potenzial für die Verwaltung von Aktienregistern, insbesondere für KMU, so dass die fehleranfällige und aufwändige manuelle Verwaltung entfällt.
Ein weiteres breites Anwendungsfeld ergibt sich durch die Tokenisierung illiquider Vermögenswerte. Anlagen wie etwa Kunst oder andere Liebhaberobjekte können für breitere Investorenkreise fraktioniert und handelbar gemacht werden, was etwa auch die Nachlassverwaltung unter Erbengemeinschaften vereinfache könnte.
Aus einer Anlageperspektive sind Kryptowährungen, tokenisierte Wertpapiere oder Immobilien weitere mögliche Nutzungen, wobei nicht alle gleichermassen als attraktiv, sicher und praktikabel eingeschätzt werden.
Last but not least ist auch ein Einsatz der Technologie für die Identitätsprüfung (KYC) denkbar, indem eine eindeutige Identität auf der Blockchain festgehalten und weitergegeben werden kann, wobei allerdings den Effizienzgewinnen beträchtliche Risiken bei Sicherheit und Datenschutz gegenüberstehen.
Noch zu viele Hürden für die praktische Umsetzung
Von den genannten Anwendungsbeispielen sind die Tokenisierung von illiquiden Vermögenswerten, Coin Offerings oder Blockchain-basierte Börsen bereits praktisch umgesetzt worden. Doch aufgrund vieler komplizierender Faktoren, mangelnder Integrierbarkeit oder Akzeptanz haben sich entweder die gewünschten Effizienzgewinne nicht eingestellt oder die Anwendung war aufgrund geringer Nachfrage bzw. noch unausgereifter Technologie zu sehr in der Nische und isoliert vom eigentlichen Finanzmarktgeschehen.
Entsprechend konstatiert Roger Signer, dass es an konkreten Beispielen für erfolgreiche Umsetzungen noch mangelt. Hürden sind etwa die Inkompatibilität gewachsener technischer Infrastrukturen mit der neuen Technologie. Am ehesten sind daher modulare Ansätze vielversprechend, damit Vorteile der Blockchain genutzt werden können, ohne dass die bestehenden Systeme unmittelbar umgestellt werden müssen.
Schwerer als die technologischen Hürden wiegen in den Augen der von Roger Signer befragten Experten die regulatorischen Vorbehalte. Noch sei der regulatorische Rahmen zu unklar und lasse zu viel Interpretationsspielraum und die Vorschriften «hinkten» oftmals der Innovation hinterher, wobei ausdrücklich die Anpassungsfähigkeit der Schweizer Regulierungsbehörden positive Erwähnung fand.
Fazit zu den gestellten Forschungsfragen
Sowohl aus der Literatur als auch aus den Expertenbefragungen kristallisieren sich Anwendungsszenarien für Blockchain heraus, die Potenzial für Wertschöpfung versprechen. Doch die praktische Umsetzung sei derzeit noch alles andere als ideal. Die meisten funktionierenden Blockchain-Anwendungen sind zudem auf den DeFi-Bereich beschränkt und haben noch wenig Bezug zur traditionellen Finanzwelt – den Grund dafür sieht Roger Signer darin, dass «Umsetzbarkeit und Benutzerfreundlichkeit der Technologie noch weit von den gewünschten Standards entfernt sind». Use Cases wie die SDX zeigen jedoch, wie sich der Finanzmarkt erheblich verbessern lässt.
Zwar ist der Beitrag der Blockchain-Technologie zur Wertschöpfung in der Untersuchung deutlich geworden, jedoch zeigt die Thesis, dass für eine echte Wertschöpfung die Technologie noch weiterentwickelt werden muss, da insbesondere die bestehende Infrastruktur für eine Adaption noch nicht ausgereift ist. Es gelte genau abzuwägen, wo ggfs. traditionelle Technologien doch noch besser geeignet sind, zum gewünschten Ziel zu gelangen, damit die Blockchain nicht um der Blockchain willen eingeführt würde. Noch ist der Nutzen in vielen Anwendungsfällen zu marginal und wird sich erst manifestieren können, wenn die Technologie reifer ist und damit an Relevanz und Akzeptanz gewinnt.
Doch: Die realisierten Use Cases sind geeignet, als Differenzierungsmerkmale Banken dabei zu helfen, neue Bereiche zu bedienen. Steigt die Nachfrage auf Kundenseite von ihrem bisher noch tiefen Niveau, sind diese Banken Vorreiter und können schneller von Mehrwerten durch Blockchain profitieren.
Wir gratulieren Roger ganz herzlich zum Master-Abschluss und seiner tollen Masterthesis, welche auf Anfrage (Roger Signer) bezogen werden kann. Für Anfragen zum Thema Blockchain-Innovation bei der Inventx hält sich das InventxLab-Team gerne zur Verfügung.